Patna/Pfeffenhausen/Wien – Der 24. Januar ist der Internationale Tag der Bildung – und für uns der passende Zeitpunkt, um kurz auf das Jahr 2019 zurückzublicken und zugleich optimistisch in die Zukunft zu schauen.
„Es ist ein regelrechter Wettbewerb darüber entstanden, wer die meisten Bücher gelesen hat“, berichtet unser Projektmanager Rakesh Kumar Rajak nach seinem Besuch in einer der Schulen, in der wir unter anderem eine Bibliothek eingerichtet haben. Monate nach der Eröffnung ist diese weiterhin in exzellentem Zustand und wird von den Kindern rege genutzt. Die illustrierten Kinderbücher, die jeweils nur wenige Euro-Cent kosten, da mit ihnen kein Profit erzielt wird, bilden die Lebensrealität der Kinder ab und sprechen wichtige Themen wie etwa ein progressives Rollenverständnis von Mädchen und Jungen im Haushalt kindgerecht an. Die Eltern der meisten Kinder sind Analphabeten. Die nächste Generation dagegen ist nun auf dem Weg zu wahren Bücherwürmern.
Dies war eine der erfreulichen Nachrichten von 2019. Gleichzeitig wurden einige unserer geplanten Vorhaben aufgrund der Parlamentswahlen in Indien verzögert. Wahlen in der größten Demokratie der Welt sind eine Herausforderung. Beamte und Lehrer werden abgestellt, um eine reibungslose und faire Wahl sicherzustellen. Das bedeutet aber auch, dass in dieser Zeit kaum etwas anderes passiert. Wer etwa wie wir auf Genehmigungen wartet oder mit der Verwaltung zusammenarbeitet, muss diesen Stillstand einplanen.
Überbrückt wurde diese Zeit in Indien z. B. damit, dass Herr Rajak Hintergrundrecherchen zu Verwaltungsabläufen vom Schreibtisch aus erledigte. Ursprünglich hatten wir eine größer angelegte Studie mit unserem ehemaligen Projektmanager Dr. Vishwa Anand geplant, der diese jedoch aus persönlichen Gründen nicht durchführen konnte. Herr Rajak konnte dies jedoch durch seine Arbeit kompensieren, sodass nunmehr genug Informationen zusammengetragen wurden, um detaillierte Reformvorschläge auszuarbeiten.
Auf Grundlage dieser Erkenntnisse arbeiten wir jetzt an sich anschließenden Teilprojekten, die gezielte Interventionen in einzelnen Schulen sowie dem Bildungssystem im Ganzen zum Ziel haben. Mithilfe von Drittmitteln, insbesondere von Stiftungen oder Unternehmen, soll die Finanzierung dieser ehrgeizigen Vorhaben auf die Beine gestellt werden.
Weiterhin in der Planung befindet sich unser Mentorenprojekt als Unterprojekt unter dem Dach des Education Policy Institute of Bihar (EPIB). Im Rahmen dieses Pilotversuchs wollen wir mithilfe von Schulmentoren in zunächst neun Schulen in Bihar konkrete Verbesserungen im Unterrichtsalltag erreichen. Während wir im vergangenen Jahr erhebliche Fortschritte hinsichtlich der Finanzierung dieses Projekts erreichen konnten, wartet unsere Partnerorganisation Prayatna derzeit noch auf die Genehmigung der zuständigen Behörde. Diese ist notwendig, um im staatlichen Bildungssystem zu intervenieren. Nachdem Prayatna nun alle von der Behörde angeforderten Berichte eingereicht hat, hoffen wir in Kürze mit der Umsetzung des Projektes starten zu können.
Einfluss auf die öffentliche Debatte - vor allem in Indien, aber auch in Deutschland und global - zu nehmen, ist ein weiterer wichtiger Bestandteil unserer Arbeit. Denn nur mit Unterstützung einer überzeugten demokratischen Öffentlichkeit, die bessere Schulen für alle Kinder ihres Landes und auf der Welt einfordert, kann der derzeit im Trend liegende Privatisierungswahn gestoppt und eine Stärkung des öffentlichen, kostenlosen Bildungssystems angegangen werden.
Daher hat Herr Rajak zusammen mit unserem 1. Vorsitzenden Martin Haus im vergangenen Jahr Beiträge zur aktuellen Debatte im Bereich der Bildungs- und Entwicklungspolitik veröffentlicht.
In einem Artikel für das indische Onlinemagazin „The Wire“ setzen sie sich kritisch mit den sogenannten „randomisierten kontrollierten Studien“ (RCTs) auseinander, die eigentlich in der Medizin verbreitet sind, jedoch nunmehr auch im sozialen Sektor an Popularität gewonnen haben. Die Ökonomen Abhijit Banerjee, Esther Duflo und Michael Kremer haben für ihren Ansatz 2019 den Wirtschaftsnobelpreis gewonnen. Haus und Rajak analysieren einerseits die Stärken dieser RCTs, legen aber zugleich dar, warum sie allein nicht ausreichend sind, um die strukturellen Ursachen für Armut und Ungleichheit zu bekämpfen. Der Lernnotstand an indischen Schulen lasse sich mit RCTs allein nicht beenden, schlussfolgern die beiden. RCTs seien dabei insbesondere für Optimierungen sinnvoll, wenn im Großen und Ganzen eine gute Funktionalität des Bildungssystems sichergestellt ist. Da dies in Bihar (noch) nicht der Fall ist, sollte der Fokus zunächst auf grundlegenderen Reformen liegen.
In einem anderen Artikel für „The Quint“ analysieren Haus und Rakesh neueste Untersuchungen zu den Leistungen indischer Schüler und stellen konkrete Forderungen für eine Verbesserung auf.
Warum es falsch ist, die Lösung für den Zustand des öffentlichen Schulsystems in Privatisierung zu sehen, erläutern beide in einem Blogeintrag. Zwar zeigen Untersuchungen in der Regel deutlich bessere Leistungen von Schülern privater Bildungseinrichtungen, allerdings ist dies vor allem auch darauf zurückzuführen, dass Kinder auf den Privatschulen häufig aus sozio-ökonomisch besseren Verhältnissen stammen und daher entsprechende Unterstützung ihres Elternhauses erfahren. Nicht die Schulen, sondern das Elternhaus erklären häufig also den Unterschied in den Leistungen der Kinder.
Das wollen wir ändern. Neben dem weiterhin geplanten Mentorenprojekt und weiteren sich noch in der Planungen befindenden Projektideen haben unsere Mitglieder auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung am 30.12.2019 beschlossen, nun zusammen mit Prayatna einen Fonds aufzulegen, um unter dem Dach des EPIB Pilotprojekte zu finanzieren. In kleinerem Rahmen sollen erarbeitete Lösungsvorschläge in die Praxis umgesetzt werden, um sie auf ihre Machbarkeit zu überprüfen und zu sehen, ob die gewünschten Erfolge erzielt werden. Anschließend – so die Idee – können die Ergebnisse genutzt werden, um finanzstärkere Geldgeber und die zuständigen Behörden von diesen Vorhaben zu überzeugen, sodass sie in größerem Umfang umgesetzt werden können.
Ein konkretes Beispiel: Eine Idee ist es, mithilfe von einfachen Mobiltelefonen den Eltern die Möglichkeit zu geben, unkompliziert den Wissensstand ihrer Kinder zu überprüfen. Dies erfordert jedoch recht kostenintensive Investitionen. Zwar wäre es möglicherweise interessant für Unternehmen aus der IT-Branche, ein solches Projekt finanziell zu unterstützen. Doch um potenzielle Geldgeber zu überzeugen, sind überzeugende Argumente vonnöten. Diese könnte ein Pilotprojekt liefern, bei dem zunächst Freiwillige manuell einen Großteil der Aufgaben übernehmen, die später automatisiert durch technische Hilfsmittel geleistet werden sollen. Eine anschließende Evaluation kann dann die Wirksamkeit der geplanten Maßnahmen nachweisen.
Dieser Ansatz bietet gleich mehrere Vorteile: Zum einen lassen sich im kleineren Rahmen noch Optimierungen an der bisherigen Projektkonzeption vornehmen und vor der Hochskalierung des Projektes umsetzen. Dadurch wird sichergestellt, dass eine großflächige Umsetzung möglichst effizient erfolgt.
Zum anderen haben auch die durch den Fonds finanzierten Projekte bereits Auswirkungen vor Ort, wovon – je nach Projekt - bereits zahlreiche indische Schulkinder direkt oder indirekt profitieren, ehe das Projekt dann als Blaupause für einen massiven Wandel problematischer Strukturen dienen kann.
Struktureller Wandel erfordert Geduld und viele Mühen. Doch am Ende ist nur ein Bekämpfen der Ursachen für Ungerechtigkeiten wirklich nachhaltig.
Angetrieben von diesem Motto werden wir auch 2020 für ein besseres Schulsystem in Bihar werben. Gute kostenlose Schulen für alle – das ist unsere Vision vom Bihar von morgen.
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