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COVID-19: Schule in Zeiten der Pandemie

Aktualisiert: 10. Apr. 2020

Als Reaktion auf die Corona-Pandemie hat das Education Policy Institute of Bihar (EPIB), der von uns zusammen mit unserer Partnerorganisation Prayatna eingerichtete Think Tank für das Recht auf Bildung, ein Recherche-Team aus Anisha Jain, Rakesh Kumar Rajak und unserem 1. Vorsitzenden Martin Haus zusammengestellt. Das Team sammelt Informationen aus verschiedenen Quellen – von lokalen, regionalen und nationalen Regierung und internationalen Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation, UNESCO und UNICEF. Das Ziel ist, auf den Bundesstaat Bihar zugeschnittene Informationen zusammenzustellen und Empfehlungen für Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung zu entwickeln.


Der originale, auf Englisch erschienene Blogeintrag des EPIB wird laufend aktualisiert und ist hier abrufbar.






Nachdem Premierminister Narendra Modi eine Ausgangssperre für ganz Indien, die Schulen einschließt, ausgerufen hat, ist Bildung zum Stillstand gekommen. In Bihar allein sind davon fast 24 Millionen Schülerinnen und Schüler betroffen.


Was machen die nationale Regierung und Regierungen der Bundesstaaten?

Zunächst ein Überblick über Initiativen und Strategien einzelner Bundesstaaten, bevor Empfehlungen von internationalen Organisationen und Experten zur Überbrückung der Schulschließungen unter die Lupe genommen werden.


1. Im Bundesstaat Assam wurden Lehrerinnen und Lehrer aufgefordert, Unterricht über WhatsApp mit Schulmaterialien über das Handy anzubieten. https://t.co/XQKufH2Sgr?amp=1


2. Im Bundesstaat Gujarat plant die Bildungsbehörde, über einen privaten Fernsehsender Schulstunden öffentlich zugänglich zu machen. 150.000 Lehrkräfte sollen die Schüler zuhause mit Arbeitsblättern und Tests versorgen. (Hinweis: Dies könnte durch die nun beschlossene Ausgangssperre nicht mehr möglich sein.) https://t.co/Y7Rq6ra6w1?amp=1


3. Die nationale Regierung hat Online-Unterrichtsmaterialien für die Klassenstufen 9 bis 12 veröffentlicht. https://t.co/bUDUsPjfho?amp=1






Ist EdTech die Lösung?

Viel Aufmerksamkeit erfahren digitale Technologien in den indischen Medien, die ein Lernen von zuhause aus ermöglichen sollen. Solche Lösungen übersehen jedoch häufig die Realitäten in den öffentlichen Schulen und den Gegebenheiten bei den Schülern zuhause.


Ausweislich des ASER-Reports von 2018* dürfte ungefähr die Hälfte von Bihars Schulen an einem beliebigen Tag einen funktionierenden Stromanschluss haben. Der Zensus 2011 ergab, dass ca. 15 % der Bevölkerung Bihars einen Fernseher hat, 7 % einen Computer und etwas mehr als die Hälfte ein Mobiltelefon (in Form eines einfachen Handys oder eines Smartphones). Man könnte zwar argumentieren, dass sich die Verbreitung in den letzten neun Jahren verändert hat. Allerdings handelt es sich um Durchschnittswerte. Und die Elternhäuser der Schüler auf staatlichen Schulen sind im Durchschnitt ärmer als die anderer Kinder. Der ASER-Bericht von 2017* enthält weitere Informationen. Im Distrikt Muzaffarpur etwa hatten etwa 85% der Jugendlichen im Alter von 14 bis 18 Jahren ein Mobiltelefon in der letzten Woche benutzt, während allerdings nur 26,3 % von ihnen Zugang zum Internet hatten. Außerdem gibt es einen großen Unterschied zwischen Jungen (39,2 %) und Mädchen (14,9 %), was für eine Ungleichheit zwischen den Geschlechtern spricht, wenn es um die Verteilung der Ressourcen innerhalb der Haushalte geht. Im Zeitraum von einer Woche hatten 20,4 % der Kinder einen Computer zur Verfügung, wobei wiederum eine massive Ungleichheit zwischen den Geschlechtern erkennbar wird (Jungen: 28,9 %; Mädchen: 12,9 %). 72,7 % der Kinder gaben an, nie einen Computer benutzt zu haben. Daher hätte eine technologie-intensive Überbrückungslösung nur eine sehr begrenzte Reichweite, vor allem unter den Schülern staatlicher Schulen. Diese Reichweite dürfte weiter abnehmen, wenn die Corona-Pandemie zu einem Wirtschaftscrash oder einer Rezession führt, weil dann viele Haushalte kein Geld mehr haben würden, um Internetpakete zu bezahlen.


Vor diesem Hintergrund ist es nicht ratsam, die knappen staatlichen Gelder und Arbeitskräfte in solche technischen Lösungen zu investieren.



Was empfehlen internationale Organisationen und die Wissenschaft?

Die Weltbank hat einen Blogartikel veröffentlicht, indem sie feststellt, dass „mehr Kreativität erforderlich sein wird“, um lokale Lösungen zu finden. Die Empfehlungen schwanken sehr stark je nach lokalen Gegebenheiten. Falls auf dem Internet basierendes Material zur Überbrückung der Schulschließungen verfügbar gemacht wird, könnten Telekommunikationsunternehmen gebeten werden, freien Zugang zu diesen Materialien zu gewährleisten. Allerdings ist, wie dargelegt, die Verfügbarkeit von Smartphones in Bihar sehr begrenzt.


Das Center for Global Development, ein auf internationale Entwicklung spezialisiertes Think Tank mit Sitz in Washington D. C. und London, hat ebenfalls einen Blogartikel veröffentlicht. Die Experten beleuchten neben anderen Dingen die Erfahrung weltweit im Hinblick auf Schulschließungen aufgrund von Pandemien. Krankheitsübertragungen dürften sich nur dann reduzieren lassen, wenn die Schüler nicht stattdessen andere öffentliche Orte aufsuchen. Einige Länder entschieden sich auch dafür, lediglich einige Schulstunden und Unterrichtseinheiten ausfallen zu lassen, anstatt sofort ganze Schulen zu schließen. Angesichts der vollen Klassenzimmer in Bihar dürfte das allerdings wenig zur Krisenbewältigung beitragen. Die Autoren zitieren außerdem eine wichtige Studie, die zu folgendem Ergebnis kam: Je länger ein Kind nicht zur Schule geht, umso unwahrscheinlicher ist es, dass er oder sie zurückkehren wird.


Die UNESCO hat ein Webinar abgehalten zu Bildungsgerechtigkeit während der Corona-Pandemie, an dem Regierungsvertreter, Praktiker und Experten aus über 50 Ländern teilgenommen haben. Einige Ansätze wurden dabei festgestellt:

· Italien versorgt die am stärksten benachteiligten Schülerinnen und Schüler mit Geräten, um ihnen Zugang zu E-Learning Materialen zu geben.

· Ruanda nutzt verschiedene Mittel, z. B. Online-Plattformen, Radiosender, und Fernsehsender.

· Auch Frankreich setzt auf online-Angebote und stattet jene 5 % der Schülerinnern und Schüler mit Geräten und weiteren Hilfen aus, die keinen Internetzugang haben.


Im Blog From Poverty to Power stellt Prof. Prachi Srivastava fest, dass Staaten verpflichtet sind, auch in Pandemiezeiten Bildung zur Verfügung zu stellen und dass die vorübergehenden Schulschließungen wahrscheinlich länger als zwei bis drei Wochen andauern. Sie kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass Schulschließungen sowieso schon gefährdete Gruppen überdurchschnittlich hart treffen.



Was sollte Bihar tun?

Angesichts der sich stetig verändernden Situation ist es schwierig, Ratschläge zu erteilen. Dennoch, möchten wir, das Team vom Education Policy Institute of Bihar, einen Entwurf für ein Programm basierend auf den gewonnen Erkenntnissen bereitstellen.





Wir schlagen ein Radio-basiertes Paket vor


Die meisten Menschen in Bihar haben ein Radio, z. B. über ihr einfaches Mobiltelefon.


Daher schlagen wir ein Radioprogramm vor, dass vom State Council of Education Research & Training (SCERT) in Bihars Hauptstadt Patna organisiert wird.


Das Programm soll nicht auf dem Lehrplan beruhen und kann keinen Nachholunterricht ersetzen, sobald die Schulen wieder öffnen. Allerdings kann es helfen, die Verbindung zwischen Schülern und Bildung sowie ihren Schulen auch in Zeiten des Shutdowns aufrechtzuerhalten. Der Sendeplan kann so ausgestaltet werden, dass jeweils mehrere Klassenstufen zusammengefasst werden.


Die Regierung des Bundesstaats Bihar kann Vereinbarungen mit Nichtregierungsorganisationen wie Pratham Books treffen, innerhalb deren Storyweaver Programm („Storyweaver“ heißt wörtlich übersetzt „Geschichtenweber“) Hörbücher unter einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht werden, wodurch diese kostenlos zugänglich sind. Auch mit gewinnorientierten Unternehmen ist möglich. So hat etwa Amazon Audible viele Hörbücher für die Zeit der Corona-Krise frei zum Streamen über das Internet zur Verfügung gestellt. Die Regierung kann sich an Amazon wenden und eine Vereinbarung treffen, sodass die Hörbücher an Kindern in ganz Bihar ausgestrahlt werden können.


Solche Hörbücher können mit stärker an den Lehrplan angelehnten Inhalten kombiniert und vermischt werden. Programm können gleichzeitig qualitativ hochwertig, spannend und lehrreich sein.


In Zusammenarbeit mit Mobilfunkanbieter kann sichergestellt werden, dass sich Informationen über das Radioprogramm schnell verbreiten. Sowohl SMS als auch automatisierte Anrufe hierfür genutzt werden. Jeden Morgen kann der vom SCERT festgelegte Sendeplan so an Millionen von Handynutzern gesendet werden.


Einzelne Teile können auch Nichtregierungsorganisationen, Lehrer (z. B. über das Teachers of Bihar Network) und andere Organisationen auf nicht-kommerzieller Basis bereitstellen. Diese Teile können online eingesendet, vom SCERT überprüft und je nach Bedarf in den Sendeplan integriert werden. SCERT sollte indes die Qualität des Inhalts überprüfen und gewährleisten.


Das Radioprogramm kann außerdem Zeitfenster enthalten, in denen die Distriktverwaltung öffentliche Ratschläge zum Umgang mit der Pandemie verkündet. In vielen Dörfern Bihars verbreiten sich derzeit Unsicherheit gepaart mit Fake News. Ein öffentliches Radioprogramm könnte auch in dieser Hinsicht helfen.



Weitere Empfehlungen:

  1. Nicht auf technologieintensive Lösungen verlassen.

  2. Die Verbindung der Kinder zur Schule aufrechterhalten.

  3. Überlegen, ob öffentliche Gelder flexibler eingesetzt werden können und eine solche Flexibilität innerhalb der Verwaltung klar kommunizieren. Die Verlängerung des Geschäftsjahrs in Erwägung ziehen, weil Gelder während der Ausgangssperre womöglich nicht ausgegeben werden. Nicht ausgegebene Gelder nicht im Rahmen der Budgetverteilung für nächstes Jahr anrechnen. Gelder von ihrer Zweckbindung befreien, damit Schulen sie für Überbrückungskurse verwenden können.

  4. Einen systematischen Ansatz über einzelne Ministerien hinweg anwenden. Nicht in abgeschlossenen Einheiten denken und Ad-hoc-Entscheidungen vermeiden, die langfristig negative Folgen haben können (z. B. könnte es überdacht werden, Schulen zur Beherbergung zurückgekehrter Wanderarbeiter zu nutzen).

  5. Klare Zuständigkeiten zwischen den und innerhalb der einzelnen staatlichen Ebenen haben.

  6. Wenngleich die Dauer der Schulschließungen noch nicht absehbar ist, frühzeitig die Wiedereröffnung planen.

  7. Ökonomischer Druck innerhalb der Familien beeinträchtigt das Lernen der Kinder und führt dazu, dass sie zukünftig der Schule fernbleiben. Daher in Erwägung ziehen, Tagelöhner mit unbürokratischen Hilfen zu unterstützen, z. B. in Form von Geldtransfers, die nicht an Voraussetzungen gebunden sind.


*Der ASER-Report (=Annual Status of Education Report) der bekannten indischen Nichtregierungsorganisation Pratham bewertet jährlich den Wissensstand der indischen Schülerinnen und Schüler sowie den Anteil der Kinder, die zur Schule gehen, und gibt dadurch einen recht umfangreichen Überblick über den Zustand es indischen Bildungssystems.

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